12:15 Uhr: „Pünktlich wie die Maurer“, sagt Elke Scheermesser. Es rappelt an der Tür des Hauptportals der Kirche St. Barbara in Essen-Kray. Andreas, ein Freiwilliger, bringt zwei große Thermobehälter mit Essen in die Kirche. Hier warten bereits drei Ehrenamtliche Sigrid, Brigitta und Lisa, die gerade die Tische für das „Gastmahl“ vorbereiten.
„Jeden Dienstag kommen zwischen 30 und 50 Gäste, meistens Menschen aus dem Stadtteil, um hier Mittag zu essen und ein Pläuschchen zu halten. Es sind zum Teil Menschen, die wirklich arm sind, ohne dass man es ihnen ansieht, aber auch Menschen, denen man die Armut durchaus ansieht. Andere kommen zu uns, weil sie einsam sind, weil zum Beispiel der Partner oder die Partnerin gestorben ist, oder Menschen, die wegen psychischer Belastungen im Alltag überfordert sind. Wir bieten ihnen hier eine Möglichkeit zur ganz normalen Begegnung“, erklärt Scheermesser. Sie ist die Koordinatorin des Projektes und in der Gemeinde St. Barbara in vielen Projekten aktiv.
Die Ehrenamtlichen mit der „Hauptattraktion": dem Cowboy-Eintopf.
St. Barbaras Weg zur Sozialkirche
„Wir haben festgestellt, dass die Armut hier bei uns in Essen-Kray zugenommen hat. Auch Drogen spielen dabei eine Rolle. In unserem Stadtteil leben viele Zugewanderte und Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Vor etwa sieben Jahren haben wir mit ein paar Engagierten angefangen, unsere Sozialkirche zu planen. Am 1. Advent 2019 haben wir damit begonnen, St. Barbara systematisch für den Ortsteil zu öffnen. Dazu mussten wir erst einmal unsere eigenen Leute ‚mitnehmen‘“, berichtet Scheermesser. „Wir haben sonntags unsere Kirchenbesucherinnen und -besucher nach der Messe zu einem kleinen Imbiss eingeladen und sie bei der Gelegenheit über unsere Pläne informiert.“ Was damals mit zehn Ehrenamtlichen begann, wird heute von 25 Engagierten weitergeführt. 2020 musste die Gemeindearbeit wegen Corona ruhen, und man richtete einen Gabenzaun ein. Die Gemeinde und Spender*innen konnten hier Lebensmittel und andere Dinge an den Zaun zwischen Pfarrhaus und Gemeindeheim hängen, und Menschen konnten sich so mit dem Notwendigsten versorgen.
Rund 25 Ehrenamtliche setzen sich auf verschiedene Weise in der Sozialkirche ein.
Corona und die Folgen
„Nach Corona konnten wir dann endlich wieder richtig einsteigen. Wir haben zuerst ein Flüchtlingscafé, unser Ukraine-Café, errichtet, und über diese Aktivität kamen auch die ersten Ehrenamtlichen zu uns, die sonst mit der Kirche nichts zu tun hatten. Viele von ihnen sind auch heute noch in meinem Team, und wir haben sogar ein paar neue Gemeindemitglieder gewonnen“, freut sich Elke Scheermesser. So wie Lisa Wiegand, eine Engagierte aus Scheermessers Team. Die 64-jährige Hauswirtschafterin hat drei erwachsene Kinder und ist stolze Oma von sieben Enkelkindern. Sie ist 2023 nach 13 Jahren wieder in die katholische Kirche eingetreten, nicht zuletzt wegen ihres ehrenamtlichen Engagements. „Ich habe durch diese Arbeit einfach eine Veränderung bei mir bemerkt und wieder ein warmes Herz bekommen.“ Nach einer Krisenerfahrung hatte sie sich einem der drei Oblaten-Patres anvertraut, die seit 2021 einen kleinen Konvent in St. Barbara errichtet haben. Lisa sagt: „Hier kann ich wie zu Hause sein.“
Eine lebendige Gemeinde und ambitionierte Pläne
Heute finden in der Gastkirche die verschiedensten Aktivitäten statt – vom gemütlichen Kaffeetrinken freitags über Kleiderkammer, Lebensmittelausgaben, Nachhilfe bis hin zum Gastmahl am Dienstag. Außerdem hält das Team regen Kontakt mit dem Stadtteilbüro der Stadt Essen. Wer Probleme mit Ämtern und Anträgen hat, wird von den Ehrenamtlichen dorthin vermittelt. Genauso vermitteln die Kolleginnen und Kollegen des Stadtteilbüros Menschen an die Aktivitäten der Gastkirche St. Barbara.
Die Kirche soll unter anderem um eine Küchenzeile erweitert werden, damit noch mehr Menschen versorgt werden können.
Heute sind auch Martina, Karin und Conny beim Gastmahl. Die drei Frauen zwischen 60 und 71 Jahren organisieren sonst andere Aktivitäten in der Gemeinde. Heute sind sie zu Gast hier und wollen einfach mal ein bisschen erzählen. „Wir haben hier ein wirklich lebendiges Gemeindeleben“, sagt Scheermesser, und mit diesen Aktivitäten soll noch lange nicht Schluss sein. Sie berichtet, dass ein Umbau in der Kirche in Planung ist. Es soll ein Mehrzweckbereich entstehen. „Wir möchten eine Küchenzeile einbauen, damit wir noch mehr Menschen versorgen können. Außerdem planen wir, im vorderen Bereich der Kirche eine Zwischendecke einzuziehen, um ein paar nützliche Räume zu gewinnen.“ Die Kontakte zu einem Architekten und der Denkmalschutzbehörde sind bereits aufgebaut. „Natürlich mussten wir eine ganze Menge lernen, als wir als Gastkirche anfingen. Inspirationen haben wir uns zum Beispiel bei den FairSorgern der St. Gertrud Gemeinde in der Essener Innenstadt oder auch bei der Gastkirche in Recklinghausen geholt.“
Aber wer bezahlt die Aktivitäten in St. Barbara? „Wir finanzieren unsere Arbeit unter anderem aus dem Erlös der Kleiderkammer im Gemeindeheim, durch Spenden der Gemeindemitglieder und anderer sowie durch die Einnahmen der Spendenaktion „Füreinander. Für hier.“. Unser Essen bekommen wir einmal im Monat von der Pizzeria „Don Camillo“. Auch das Franz-Sales-Haus, eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, beliefert uns seit März monatlich einmal mit dem Mittagessen. Den Kuchen für unsere Aktivitäten backen unsere Ehrenamtlichen.“
Begegnung beim Gastmahl mitten in der Kirche.
Warum ein Ehrenamt?
Was treibt eine Frau wie Elke Scheermesser an, diese Arbeit zu tun? „Ich bin Mutter und Krankenschwester und wollte schon immer Menschen helfen“, sagt die 60-Jährige. „Schon während der Familienphase war ich in der Schulpflegschaft tätig, außerdem aktiv in dieser Gemeinde, in der Kinderkirche, bei der Kommunionsvorbereitung, in der KFD und im Gemeinderat. Was mich überzeugt, ist, dass hier auch das weitergegeben wird, was hier gepredigt wird: Nächstenliebe. Denn eines ist klar, wer hier der Gastgeber ist: Jesus Christus!“ Berührungsängste kennt Elke Scheermesser nicht. „Wir haben hier auch Gäste, die überwiegend auf der Straße leben. Hier bekommen Geschichten, die wir sonst wohl eher aus Radio und Fernsehen kennen, ein Gesicht, Betroffene einen Namen und bei der nächsten Begegnung in Kray wohl auch ein freundliches Wort.“
Text: Christoph Grätz-Kraft
Projekte wie die Gastkirche St. Barbara werden zu einem Teil aus den Einnahmen der Spendenaktion „Füreinander. Für hier.“ finanziert.